Orte Szenen Gesten - Raum Zeit Stellen

Außerhalb der Quantenphysik hat „die Quantenphysik“ den Hauptzweck, ehrfürchtige Zustimmung zu Sachverhalten rhetorisch zu organisieren, die sonst achselzuckend zur Kenntnis genommen würden.
Eine fundamentale Erkenntnis also „der Quantenphysik“ ist der Einfluß des Beobachtungsaktes auf den beobachteten Akt. Auf der Ebene menschlichen Verhaltens wird das nirgendwo so sichtbar wie in einem privaten Photoalbum.
Das gilt für den Moment einer „gestellten“ Aufnahme, auf der Menschen vor der Kamera posieren; auch der Schnappschuß formt und verändert, was er schnappt und schießt. Die durch den Albumrahmen vorgeformte Betrachtung wiederum verändert auch verblasste Schwarzweiß- oder irgend stichige Farbabzüge. Sie macht sie zu Souvenirs, Erinnerungsbildern, Aktiva eigener oder fremder Vergangenheit.
Dieser Mechanismus ergreift auch das je gegenwärtige Erleben. Der anschließende Diavortrag ist nicht nur Ergebnis, sondern Konstituens der Reise; Hochzeit, Taufe und Einschulung mögen doch bitte nicht nur im Moment der Aufnahme photogerecht ablaufen, sondern im Ganzen so sein, wie wir sie von Bildern kennen.
Die Wechselwirkung beschränkt sich nicht auf die Vertikale Abgebildetes => Abbild => Betrachter, sondern umgreift auch den Ort, an, mit und in dem Menschen für ein Photo posieren und der in der Bildbetrachtung (re)-konstruiert wird. Er ist situationsformend, legt bestimmte Posen nah und andere fern. Vielleicht ist es nicht die Einfallslosigkeit von Schülern und Photographen, die nur eine Art zu gestatten scheint, eine Klasse vor ihrer Schule abzubilden, sondern diese Kraft des Ortes. Und vielleicht ist diese Kraft wiederum Resultat der an einem Ort eingenommen Posen.
Sie scheint noch Jahrzehnte später spürbar, zumindest photographisch aufspürbar. Haben sich auch die Orte selbst so verändert, daß sie auf den Wiederaufnahmen nicht wiederzuerkennen sind, sie scheinen sich der einstigen Szenen zu erinnern. Und die Gesten auf den Albumaufnahmen scheinen in Pflanzen und Gebäude eingeschrieben, als wären diese selbst Abbilder.

Vielleicht nur ein Ergebnis geschickter photographischer Inszenierung oder der Projektionskraft des (Bild)beobachters. Vielleicht auch eine Frage für die Quantenphysik.

Christian Schoppe, 2008